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Tanz mit dem Unvorhergesehenen

Veröffentlicht am 10.07.2024

  • Interview

Interview mit Michele Di Stefano

Wie sind Sie an die Zusammenarbeit mit den Tänzerinnen und Tänzern des Ballet de Lorraine herangegangen? Was war Ihr Ansatz?
Ich weiß ja, dass meine Methoden recht ungewöhnlich sind, daher habe ich versucht, gleich von Anfang an eine Offenheit für Neues, Unvorhergesehenes zu schaffen. Was ich verlange, ist ein ungezwungener Umgang mit plötzlichen Veränderungen, sowohl was die Abläufe als auch die Qualität der Bewegungen betrifft, außerdem die ununterbrochene Konzentration auf die Umgebung, und zwar nicht nur in Bezug auf das Körperliche, sondern auch auf die Komposition als Ganzes. Alle haben sich sofort, einzeln und als Gruppe, in den Entscheidungsprozess darüber eingebracht, was auf der Bühne passieren soll, damit überraschende Situationen und Bewegungsketten entstehen können.

SIERRAS reflektiert ein weiteres Mal den bewegten Körper in seiner Beziehung zur Räumlichkeit. Wohin führt diese Entdeckungsreise die Interpretinnen und Interpreten?
Sie führt dazu, dass die Menge an Informationen, die ein Körper in Bewegung verarbeiten kann, erweitert wird. Der Körper lernt, gleichzeitig das ganz Nahe und das weit Entfernte miteinzubeziehen. Er entwickelt eine Sensibilität gegenüber anderen bewegten Körpern, die ja den verfügbaren Raum, den man durchqueren will, gewissermaßen vorgeformt haben. Mein Tanz soll ermöglichen, dass auch neben mir getanzt werden kann. Das ist die Art von Raum, die wir damit schaffen wollen: porös, durchwurzelt, dicht bevölkert und multizentrisch.

Wie interpretieren Sie in diesem Projekt das Verhältnis von Musik und Bewegung?
Die Musik von Lorenzo Bianchi Hoesch setzt sich aus wirbelnden elektrischen Strömen, Wellen und Orten der scheinbaren Ruhe zusammen. Für mich sind Tanz und Musik wie zwei gleichgeschaltete Organismen, die einander kreuzen, parallel laufen und voneinander abweichen, die trotz abwechselnder Hoch- und Leerphasen unausweichlich und immer schneller auf eine Öffnung, ein Ausatmen, eine Flussmündung zusteuern. Genau aus diesem Grund löst sich am Ende alles in einem Gesang auf, der alle in der Komposition verwendeten choreografischen Elemente in ein neues Licht stellt. Und es ist ein geheimnisvolles Licht, das versteht sich von selbst!

Tanz Bozen wird in diesem Jahr 40. Sie waren bei vielen Ausgaben in tragender Rolle dabei, etwa 2018 als Gastkurator der Outdoor-Events. Was bedeutet Ihnen das Festival?
Im Rahmen von Tanz Bozen haben wir verschiedenste Arbeiten gezeigt, sowohl was die Formate selbst betrifft, aber auch in Bezug auf die Austragungsorte. Ich denke hier zum Beispiel an die vier Aufführungen von Robinson im Museion, die Erstaufführungen von Bermudas und Maqam, Koproduktionen des Festivals im Rahmen des Projekts RING, die stadtspezifischen Projekte Meteorologia oder Veduta oder auch so herausragende Experimente wie EDEN oder das gesamte Outdoor-Projekt, das auch ein faszinierender Spielplatz zur Erforschung der ganzen Region war.
Die herzliche Beziehung zu Emanuele Masi ist über die Jahre zu einem ganz besonderen, immer breiter werdenden Dialog herangewachsen, eine Zusammenarbeit, die eine gesunde Dosis Risiko bereithält und von einem Umfeld stimuliert wird, das ein Gefühl der Geborgenheit mit einer gewissen Rätselhaftigkeit verbindet.

Montag, 15. Juli, Stadttheater Bozen, 21.00 Uhr
CCN–BALLET DE LORRAINE
SIERRAS, Static Shot